Reeto von Gunten

Fussball ist ...

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Noel Gallagher sagt, Fussball sei Rock‘n‘Roll.
Manch einer findet, Fussball sei harte Arbeit und es gibt nicht wenige, die behaupten, Fussball sei ihre Familie, ihre Religion, ihr Ein und Ultra.

Für‘s Fischen braucht‘s ein Patent, für den Chat eine gültige email Adresse und für die Teilnahme an jedem Singwettbewerb muss man sich vorab von medienabhängigen Softkreativen erniedrigen lassen. Um jedoch der Welt zu erklären, was Fussball ist, braucht man gar nichts: Kein Diplom, keine Berechtigung und schon gar nicht irgend eine Ahnung haben. Kinder erziehen und über Fussball reden dürfen alle. Und deshalb tun sie es auch:
Fussball ist, da braucht man nicht lange zu goog - äh - recherchieren, alles was einem selbst im abgedrehtesten Delirium niemals selber in den Sinn kommen würde:

Fussball ist einer der am weitesten verbreiteten religiösen Aberglauben unserer Zeit. (Umberto Eco) - Fussball ist Schadenfreude. (Die Zeit) - Fussball ist unser Leben. (Uwe Ochsenknecht) - Fussball ist Kopfsache. (Hakan Yakin (sic!)) - Fussball ist eine Frage der Technik. (heise.de) - Fussball ist Ding, Dang, Dong. Es gibt nicht nur Ding. (Giovanni Trappatoni) - Fussball ist immer noch wichtig. (Fettes Brot) - Fussball ist Kult. (Goethe Institut) - und Fussball ist kein Wunschkonzert. (Franz Beckenbauer)

Dabei ist Fussball primär ein Glücksspiel.
Auch wenn wir‘s nicht gerne hören. Es ist wissenschaftlich bewiesen: Fussball ist purer Zufall.
Doch um dies nicht gleich jedem Dümpel vor die Figur zu schmieren, hat Gott dem Fussball die Spielzüge dazu erfunden, die Taktiken und die Technik. Aufstellungen, Standardsituationen und Statistiken. Und ganz als wäre dies des Zeitvertriebs nicht längst genug, hat er auch noch die Stadien drumrum gebaut, mit den Kurven, den Pyros und den Choereos, den immergleichen Liedern hüben wie drüben, den Codes und den Ritualen. Und als er sah, dass es gut war, erfand er noch den Max obendrauf.
Und genau deshalb bin ich dankbar für den Fussball: Weil Fussball letztlich eben keine Wissenschaft ist, sondern Zufall, und weil man sich weltweit geeinigt zu haben scheint, dies einfachso unter den Tisch zu schweigen. Und sich statt dessen mit all seinen Freunden stunden- ja tagelang, Saison um Saison, über was-weiss-ich-was-für Details auslassen und dabei abwechslungsweise den Chefznüni markieren kann.
Darum wird Fussball zu allem Möglichen: Zur Ausrede, um die Kinder nicht ins Bett bringen zu müssen zum Beispiel; von mir aus zum Anlass für ausufernde Sexorgien.
Auch wenn er meistens unerbärmlich banal ist und an Sitzball für Metrosexuelle erinnert: Abgekartet zwischen zufällig zusammengekauften Gegnern, die sich bei körperlichem Ereifern zu messen und uns dabei etwas Kohle abzunehmen haben, ohne dabei den tadellosen Sitz der Frisur allzusehr riskieren zu müssen.

Aber selbstverständlich würde ich so etwas nie öffentlich behaupten.

Denn Fussball ist natürlich eine Wissenschaft. – Und alkoholfreies Bier mit lauwarmer Wurst.

2007
Kolumne für Zwölf Fussballmagazin #1

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